Der EuGH hat vergangene Woche ein wegweisendes und verbraucherfreundliches Urteil zum Widerruf von Kreditverträgen ausgesprochen. Ein Widerruf könnte nun auch nach langer Zeit möglich sein.
Zum Ausgangssachverhalt:
Im Jahr 2012 schloss ein Verbraucher bei der Kreissparkasse Saarlouis einen grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensvertrag über 100.000 Euro mit einem bis zum 30.11.2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61% ab.
Wie allgemein üblich sah der Vertrag eine Widerrufsfrist von 14 Tagen vor, die zu laufen beginnt, sobald der Darlehensnehmer alle vom Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehenen Pflichtangaben erhalten hat (§ 492 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Art. 247 §§ 6 bis 13 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB)).
Damit verweist der Vertrag selbst nur auf die Vorschriften des BGB, die ihrerseits auf weitere Vorschriften des EGBGB verweisen (sog. „Kaskadenverweisung“). Die Pflichtangaben wurden im Vertragstext also nicht ausdrücklich wörtlich aufgeführt.
Der betroffene Verbraucher erklärte im Januar 2016 gegenüber der Kreissparkasse Saarlouis den Widerruf des Vertrags, den die Sparkasse zunächst ablehnte.
Vor dem dann aufgerufenen Landgericht Saarbrücken (Aktenzeichen 1 O 164/18) stellte sich die Frage, ob ein Verbraucher hätte erkennen können, wann die Widerrufsfrist für das Darlehen begann und wann sie endete. Die Sparkasse ist hierbei der Ansicht, dass sie den Verbraucher bei Abschluss des Vertrags 2012 ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt hat, so dass die Frist unmittelbar zu laufen begann und 14 Tage später entsprechend endete.
EU Richtlinie 2008/48/EG: Verbraucherverträge müssen „klar und prägnant“ formuliert sein.
Angegriffen wurde der Vertrag mit dem Argument, die Widerrufsbelehrung sei entgegen der EU-Richtlinie für Kreditverträge nicht ausreichend „klar und prägnant“ formuliert.
Dies ergebe sich vor allem daraus, dass der Kunde im Vertragstext nur den Verweis auf eine Liste an Paragrafen bekommt, die dann ihrerseits auf weitere Paragrafen verweisen.
Für den betroffenen Kunden heißt das, er muss erst einmal die in verschiedenen Gesetzeswerken verteilten Paragrafen ausgraben und dann herausfinden, welche Pflichtangaben im Einzelnen gemeint sind.
In jedem Fall ist aus den Vertragsunterlagen allein für den Kunden unmöglich herauszufinden, wann die Frist denn nun zu laufen beginnt.
Der EuGH schloss sich daher der Auffassung des Klägers an und stellt fest, dass „zu den Informationen, die […] in einem Kreditvertrag in klarer, prägnanter Form anzugeben sind, die […] Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist gehören“.
Eine „Kaskadenverweisung“ dieser Art auf Paragrafen des nationalen Rechts entspricht weder den Erfordernissen der EU-Richtlinie noch biete es ausreichenden Schutz und Klarheit für den Verbraucher.
Ist mein Kreditvertrag betroffen?
Zwar ist der im Fall gegenständliche Vertrag ein sog. Immobiliardarlehensvertrag, also ein Kredit zur Finanzierung eines Hauses oder einer Eigentumswohnung.
Allerdings findet sich der beanstandete Mangel in der Widerrufsinformation in den allermeisten Kreditverträgen und Darlehen wieder. So wirkt sich das Urteil eben auch auf Immobilien- und Baufinanzierung, Autokredite, Leasingverträge und viele Konsumkredite weitere aus.
Derzeit wird allein bei den Autokrediten und Leasingverträgen von ca. 20 Millionen betroffenen Krediten mit einem Volumen von gesamt. 340 Mrd. Euro ausgegangen.
Zu empfehlen ist also, dass in jedem Fall überprüft werden sollte, was in Ihrem Vertrag steht. Bei Unsicherheiten sollte ein Anwalt kontaktiert werden.
Folgen des Urteils für Kunden
Betroffene Kunden können ihre Verträge nun auch lange nach dem Abschluss noch Widerrufen; die Widerrufsfrist hat schließlich nie zu laufen begonnen.
Ein Widerruf führt dann zu einer kompletten Rückabwicklung des Darlehensvertrages. Im Beispiel eines Autokredites bedeutet dies, Sie bekommen Anzahlungen und gezahlte Raten zurück, müssen aber das Auto zurückgeben. Dies könnte besonders für Kunden interessant sein, deren Fahrzeuge zusätzlich vom Diesel-Skandal betroffen sind.
Immobiliendarlehen könnten eventuell auf günstigere Zinssatzes umgeschuldet werden oder ohne Vorfälligkeitsentschädigung vollständig abgelöst werden.
Auch ist es denkbar, dass sich Betroffene zu vorteilhaften Bedingungen vorzeitig von den Darlehensverträgen lösen können, was potentiell hohe Einsparungen mit sich ziehen könnte.
So zum Beispiel schloss der Kläger im obigem Fall seinen zehnjährigen Baukredit zu 3,6% Kreditzins ab. Einen vergleichbaren Baukredit gibt es heute zu ca. 0,8% Zinsen.
Achtung Stolperfalle:
Noch müssen Kunden die einen Widerruf erklären damit rechnen, dass die Bank diesen nicht gelten lässt und sich auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berufen.
Für Kunden bedeutet dies konkret: so verlockend die Möglichkeit der Ablösung ohne Vorfälligkeitsentschädigung oder eine Umschuldung zu einem Zinssatz von unter 1% auf den ersten Blick auch sein mag: ein Widerruf sollte dennoch keinesfalls völlig überstürzt erklärt werden!
Sollten Sie bei Ihrem Kreditvertrag Bedenken haben, suchen Sie bitte fachkundigen Rat.
In diesem Zusammenhang beraten auch wir Sie gerne!